„Die mittelalterliche Frau hatte keine Rechte und wurde als nichts weiter gesehen, als eine Gebärmaschine, billige Arbeitskraft und eine Trophäe und Sexspielzeug für ihren Mann.“
Dieser Kommentar unter einem Youtube-Video gab für mich den Anlass, diesen Artikel zu schreiben.
Er gibt ziemlich gut das verbreitete Bild von der Situation der mittelalterlichen Frau wieder.
Das Mittelalter als Epoche wird allgemein von vielen Menschen als Symbol und Sinnbild für alles schlechte, rückständige, ungerechte und grausame genutzt und das Thema Frauenrechte macht da keine Ausname.
Wir haben es hier also mit einem weltanschaulich und emotional sehr aufgeladenen Thema zu tun.
Deshalb will ich mich selbigem mit der gebotenen Vorsicht nähern, nichts verharmlosen, nichts beschönigen, sondern einfach nur beschreiben, wie es damals (nach gegenwärtigem Forschungsstand) tatsächlich war.
Und wie in den meisten Fällen ist die Antwort auch hier nicht Schwarz oder Weiß, sondern ein buntes Gemisch aus Grautönen.
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Eine mittelalterliche Frau hatte viele Rechte, die Frauen in vielen anderen europäischen Epochen vor- und nachher nicht hatten: Sie konnte erben, Besitz haben und frei über diesen verfügen, selbst bestimmen an wen sie ihren Besitz vererbte, selbstständig einer Arbeit nachgehen und Geld verdienen.
In manchen Städten konnte eine Frau sogar vor Gericht bestimmen lassen, das ihr Besitz nicht zur Tilgung der Schulden ihres Mannes verwendet werden durfte!
In vielen Städten war es ab dem Hochmittelalter üblich, dass Söhne und Töchter ein Handwerk lernten und viele junge Frauen arbeiteten unverheiratet im Handwerk oder als Mägde, um ihre Mitgift aufzubessern, ihrer Familie nicht mehr auf der Tasche zu liegen und um nicht aus wirtschaftlicher Not den erstbesten heiraten zu müssen.
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Der Mann vertrat die Familie zwar nach Außen und vor Gericht und traf auch alle Entscheidungen, die den Broterwerb der Familie betrafen, aber seiner Frau unterstand der Haushalt und damit nicht nur die Haushaltskasse, sondern auch sämtliche Angestellten.
Eine kluge Frau konnte so ihrem Mann ebenso das Leben zur Hölle machen, wie umgekehrt.
Ein Sprichwort, das im 10.Jahrhundert zum ersten mal auftaucht und das ganze Mittelalter hindurch in Gebrauch bleibt, drückt es sehr gut aus:
„Drei Dinge gibt es, die ein Haus unbewohnbar machen können: Ein undichtes Dach, ein rauchendes Feuer und ein zänkisches Weib.“
Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass im Mittelalter im Gegensatz zum 19. Jahrhundert Standesunterschied vor Geschlechterunterschied kam.
So übernahm bispielsweise bei Abwesenheit des Hausherren um 1300 automatisch seine Frau die Führung der Hausgemeinschaft, um 1900 hingegen das ranghöchste männliche Mitglied der Gemeinschaft (etwa der älteste Sohn).
Überhaupt müssen wir uns klarmachen, dass der Großteil des rechtlichen Unterschiedes zwischen den Geschlechtern im Grunde erst auf der Ebene verheirateter Menschen zum tragen kam.
Die Masse der unverheirateten Kinder, Knechte, Mägde sowie sonstige Bedienstete unterstanden gleichermaßen der juristischen Vormundschaft und der Autorität des Familienoberhauptes, unabhängig von ihrem Geschlecht.
Während das (fast immer männliche) Familienoberhaupt die Hausgemeinschaft nach außen und vor allem vor Gericht vertrat und alle Arbeiten leitete, die dem Broterwerb der Familie dienten, war die Ehefrau für die Führung des Haushalts zuständig.
Ihr unterstand unter Anderem die Vorratshaltung, die Familienersparnisse, die Autorität über Bedienstete und alle sonstigen im Haushalt lebenden Personen, die Aufnahme und Bewirtung von Gästen und vieles mehr.
Gerade in ihrer Funktion als Gastgeberin trug die Hausherrin eine große Verantwortung für das Ansehen und den guten Ruf der Hausgemeinschaft.
Das gilt für den bäuerlichen oder städtischen Haushalt ebenso, wie für den Adligen.
Gerade bei einer adligen Dame des Mittelalters würde ich sogar den Begriff „Diplomatin“ verwenden.
Einer der vielen Gründe, warum Bündnisse und Friedensverträge oft mit Eheschließungen einhergingen, war die Tatsache, dass adlige Frauen oft als „Botschafterinnen“ zwischen der Familie, aus der sie stammten und der Familie, in die sie eingeheiratet hatten, fungierten.
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Die rechtliche und soziale Stellung von Witwen unterschied sich je nach Zeit und Ort sehr:
In jedem Fall konnten sie ihr „Wittum“ behalten, eine Rücklage, die aus Geld, Vieh, Land oder sonstigem Besitz bestand, manchmal Teil der Mitgift war, die ihre Familie ihr mit in die Ehe gab und manchmal identisch mit oder Teil der sogenannten „Morgengabe“, die sie von ihrem Mann nach der Hochzeitsnacht erhielt und die exakt den Zweck hatte, sie als Witwe abzusichern.
In den meisten Fällen konnte sie zudem das Vermögen behalten, dass sie in die Ehe mitgebracht, oder während der Ehe selbstständig erwirtschaftet hatte.
Die Aufteilung des sonstigen Erbes zwischen ihr, den gemeinsamen Kindern mit ihrem Mann und eventuellen Kindern aus früheren Ehen oder von Geliebten konnte je nach Zeit und Ort dermaßen unterschiedlich sein, dass ich hier nicht näher darauf eingehen will.
Auf dem Land war es in den meisten Regionen und Zeiten üblich, dass der älteste Sohn oder der älteste lebende Verwandte die Vormundschaft über die Familie und damit die juristische vertretung, sowie die Sorge um den Lebensunterhalt übernahm, während die Witwe ihre Position als Oberhaupt der Hausgemeinschaft im Inneren und die Führung der Hauswirtschaft behielt, auch wenn der neue Vormund der Familie selbst eine Ehefrau hatte.
In den Städten hingegen war es Witwen mancherorts möglich, die Werkstatt oder das Geschäft ihres Mannes sowie seinen Meistertitel selbstständig weiterzuführen.
Andernorts mussten sie Geschäft oder Werkstatt der Führung eines zünftig ausgebideten Mannes unterstellen, durften aber unbegrenzt die Familie als Oberhaupt nach innen wie außen weiterführen.
Wiederum andernorts wurde ihnen eine bestimmte Zeitfrist gesetzt, innerhalb derer sie wieder geheiratet haben mussten, wenn sie das Recht, weiterhin ein zünftiges Gewerbe auszuüben nicht verlieren wollten.
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Ehen wurden auf allen Stufen der Gesellschaft meist zwischen den Familien organisiert und ausgehandelt und hatten wenig bis nichts damit zu tun, dass zwei Menschen sich ineinander verliebten und beschlossen, zu heiraten.
(Wobei die meisten Familien wohl trotzdem darauf achteten, dass die zukünftigen Eheleute einander zumindest halbwegs sympathisch waren)
Dass zur Eheschließung allerdings die ausdrückliche Zustimmung beider Partner notwendig war, war eine Neuerung, die ausgerechnet die Katholische Kirche zu Beginn des Mittelalters durchgesetzt hatte. Im römischen Reich war das noch anders.
Und die Kirche bot einer Frau, die am Altar „nein“ sagte, auch eine echte Alternative zum Eheleben:
Das Kloster.
Wir verbinden heute mit Nonnenklöstern Bilder von katholischen Mädchenerziehungs-Heimen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, in denen junge Frauen von lebens- und spaßfeindlichen alten Hexen in Nonnenkluft gequält und erniedrigt werden.
Tatsächlich konnte eine mittelalterliche Nonne gleichberechtigt in einer Gemeinschaft leben, Bildung erlangen und sogar Karriere machen.
Und der Grad an Askese und Zugeknöpftheit variierte von Orden zu Orden und sogar von Kloster zu Kloster extrem.
Ebenso wie die Frage, wer aufgenommen wird und wer nicht.
Ab dem 12. Jahrhundert gab es sogar Bewegungen wie die Beginen in denen Frauen zwar wie Nonnen lebten, aber die Gemeinschaft auch jederzeit wieder verlassen konnten, wenn sie einen anderen Weg einschlagen wollten.
Das änderte sich mit Reformation und Gegenreformation, als die Zahl an Nonnenklöstern, besonders solchen, die auch Frauen aus unteren Schichten aufnahmen, stark abnahm.
Überhaupt waren die wirtschaftlichen und sozialen Krisen am Übergang vom Spätmittelalter zur Renaissance nicht gut für die Frauenrechte. Frauen wurden zusehends als Konkurrenz um die knapper werdende Arbeit empfunden und in vielen Städten von den Zünften aus dem Handwerk gedrängt.
Auch der Hexenwahn ist ein Produkt dieser Krisen, in denen sich der aufgestaute Volkszorn auf wehrlose Sündenböcke entlud.
Aus heutiger Sicht eine klare Verschlechterung der Situation von Frauen durch die Christianisierung war die Tatsache, dass Ehescheidungen stark erschwert worden waren.
Immerhin war es einer Frau dadurch nur sehr schwer, wenn überhaupt, möglich, aus einer Ehe mit einem Mann zu entkommen, der sie schlecht behandelte.
Dieses moderne Denken übersieht aber, wie die mittelalterliche Gesellschaftsstruktur funktionierte:
„Singlehaushalte“ gab es nicht. Ein Mensch war auf die Unterstützung einer sozialen Gruppe angewiesen, um überleben zu können. Die persönliche Freiheit kam auf der Prioritätenliste eines mittelalterlichen (oder besser: allgemein eines vormodernen) Menschen *weit* unter der sozialen, rechtlichen und wirtschaftlichen Absicherung durch eine Gemeinschaft.
Unter diesem Blickwinkel mögen es viele Frauen tatsächlich als eine Verbesserung angesehen haben, dass ihr Mann sie nicht einfach verstoßen konnte, wenn er ihrer überdrüssig war.
Dass Frauen bei Ehebruch deutlich härter bestraft wurden ist zum einen auch wieder kein alleiniges Merkmal des Mittelalters, sondern die letzten 5000 Jahre üblich gewesen.
Zum anderen ist diese Tatsache zwar definitiv ein Unrecht (und kein kleines), aber eines, das nicht auf einem generellen Hass auf Frauen beruht sondern, so hart es klingt, auf pragmatischer Notwendigkeit.
Eine Untreue Frau kann ihrem Mann sehr leicht ein Kind unterschieben, das nicht von ihm ist.
Andersherum ist das deutlich schwieriger. („hm, ich würde mich doch erinnern, wenn ich in den letzten 2 Jahren irgendwann schwanger gewesen wäre…“)
Ein König will schon sicher sein, dass das Kind, dem er sein Reich vererbt, wirklich seines ist.
Das Selbe gilt natürlich für einen Bauern und seinen Hof.
Also eher ein Beleg dafür, dass einzelne quer durch die Geschichte oft ungerecht behandelt wurden und werden, wenn es dazu dient, wirtschaftlichen und politischen Schaden abzuwenden, als ein Beleg für einen generellen Hass auf Frauen.
Es gab (und gibt) zweifelsohne extrem frauenverachtende theologische Positionen im Christentum allgemein und im Katholizismus im Besonderen.
Aber faszinierenderweise waren diese keine genuine Erfindung des Christentums oder des Katholizismus, sondern stammten aus der griechischen Philosophie.
Frauen in weiten Teilen der hellenistischen Welt wurden auch verglichen mit dem Mittelalter extrem unterdrückt und die griechische Philosophie (zumindest der Teil, auf dem spätere europäische Philosophie aufbaute) war ebenfalls extrem Frauenfeindlich.
Entgegen dem Klischee baute die Christliche Lehre (Paulus war als römischer Bürger ausgiebig in griechischer Philosophie unterwiesen worden und seine neoplatonistischen Ansichten prägten das Christentum nachhaltig) und auch die spätere Entwicklung der katholischen Theologie gewaltig auf der klassischen Philosophie des Altertums auf.
Und gerade als im Verlauf des Hochmittelalters wieder mehr Texte von Aristoteles nach Europa gelangten, gelesen und rezipiert wurden, wurde dessen katastrophales Frauenbild leider von vielen Führenden Theologen übernommen (Thomas von Aquin ist hier ein Beispiel).
Trotz dieses fatalen aristotelischen Erbes zeigen andere zeitgenössische Quellen uns wie oben gezeigt ein Verhältnis der Geschlechter zueinander, das in der Realität sehr viel ausgeglichener und komplexer war, als das stumpfe „die Frau ist die Sünde!“ einzelner Kleriker.
Als etwa der ein sehr alter und sehr reicher Pariser Bürger (der als der „Menagier de Paris“ in die Geschichte einging) in seinem um 1400 geschriebenen Ratgeber für seine junge Ehefrau schreibt, sie solle ja immer demütig und unterwürfig gegenüber ihrem Ehemann sein und sich bei schlechter Behandlung durch diesen ja nicht an ihre Verwandten oder Freundinnen wenden, um dadurch sozialen Druck auf ihn aufzubauen, fügte er nachfolgend direkt an, dass sich die meisten Frauen nicht diesen „Idealen“ entsprechend verhalten würden und seine Frau doch bitte die noble Ausnahme sein solle.
Zwischen dem, wie sich alte, mächtige und reiche Männer die Dinge theoretisch wünschen und wie sie tatsächlich im Alltag ablaufen, bestand auch damals schon ein erheblicher Unterschied.
Und das war auch dem Menagier offenkundig klar.
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Wenn man eine Zeit sehen will, in der Frauen so richtig „mittelalterlich“ behandelt wurden, empfehle ich einen Blick in die 1950er und 1960er.
Eine Frau damals hatte keines der oben stehenden Rechte.
Die Frauen im Mittelalter waren natürlich nicht „gleichberechtigt“ im heutigen Sinne aber meine Großmutter hätte damals für die Rechte einer mittelalterlichen Frau getötet.
In den selben Jahrzehnten ging eine anständige verheiratete Frau im Übrigen auch nicht ohne Kopfbedeckung aus dem Haus. Auf dem Land konnte das auch gerne mal ein Kopftuch sein.
Eine Tradition, die sich seit spätestens der griechischen Antike durchgehend in Europa, Nordafrika und dem vorderen Orient gehalten hatte, mehr oder weniger unbeeindruckt vom Kommen und Gehen verschiedener Reiche und Religionen.
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Selbstverständlich dürfen wir uns keinen Illusionen hingeben: Die Frau des Mittelalters war nicht gleichberechtigt: Vergewaltigung in der Ehe existierte rechtlich gesehen nicht, da Sex Teil der „ehelichen Pflichten“ war. Auch wenn eine Ehefrau viele Hebel hatte, um ihre eigenen interessen in der Ehe durchzusetzen, unterstand sie in letzter Instanz eben doch der Vormundschaft ihres Mannes. Der Gang ins Kloster war ein Weg, der einfach nicht für jede Frau persönlich als Alternative in Frage kam (zumal nicht zwingend ein Kloster in der direkten Nähe war, das Frauen jeden Alters und jeden Standes aufnahm). Schwangerschaft und Geburt waren mit nicht unerheblichen Risiken verbunden. Und nicht zuletzt war es für Frauen, die nicht den rechtlichen Schutz sowie die soziale und wirtschaftliche Absicherung durch eine Famile oder sonstige Gemeinschaft besaßen, noch einfacher als für Männer, durch das soziale Netzwerk zu fallen und am Rand der Gesellschaft zu enden.
Zusammenfassend kann man also sagen:
Die rechtliche und soziale Lage von Frauen war in der mittelalterlichen Gesellschaft definitiv schlechter, als in unserer heutigen. Aber in vielen Punkten war sie tatsächlich besser, als in vielen anderen Epochen und selbst in der Jugendzeit unserer Großmütter.
Und in jeder Hinsicht war sie besser, als die meisten Menschen heute glauben.
Zum Weiterlesen:
Das Standardwerk zum Einstieg, besonders was die rechtliche Situation und die Möglichkeiten von Frauen in der Stadt betrifft:
„Die Frau in der Mittelalterlichen Stadt“
-von Erika Uitz
Der „Knigge“ des 13ten Jahrhunderts, der sich aus ausgiebig mit dem von beiden Geschlechtern erwarteten Verhalten und ihrem Verhältnis zueinander beschäftigt:
https://www.amazon.de/Welsche-Gast-Gruyter-Texte/dp/3110175436
Dieses allgemein hervorragende Buch zum Mythos des finsteren Mittelalters enthält auch ein sehr lesenswertes Kapitel zum Stand der Frau im Mittelalter:
https://www.amazon.de/Those-Terrible-Middle-Ages-Debunking/dp/0898707811
Ein absolut einmaliger Informationsschatz über die familiären Strukturen in einem Dorf des frühen 14ten Jahrhunderts:
https://www.amazon.de/Montaillou-Ein-Dorf-Inquisitor-1294-1324/dp/3549073909/ref=sr_1_cc_2?s=aps&ie=UTF8&qid=1547681975&sr=1-2-catcorr&keywords=montaillou+ein+dorf+vor+dem+Inquisitor
Eine umfassende Beschreibung der Anforderungen und Aufgaben einer Hausfrau aus der bürgerlichen Oberschicht im spätmittelalterlichen Paris:
https://www.amazon.de/mittelalterliches-Hausbuch-Praktischer-Ratgeber-Familie/dp/3530326062/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1547682137&sr=1-1&keywords=ein+mittelalterliches+hausbuch
Speziell zur Situation von Frauen im städtischen Bereich empfehle ich sehr diesen sehr guten Artikel der Sorores Historiae sowie die am Ende des selbigen genannte Literatur:
https://sororeshistoriae.com/2017/08/28/frauen-im-mittelalter/