Holtfahrtstag/Hölzgestag – Ein (fast) vergessener Feiertag vom mittelalterlichen Niederrhein.



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Am Donnerstag nach Pfingsten wurde in vielen Städten des Niederrheins im Spätmittelalter ein Fest gefeiert, das sich je nach regionalem Dialekt „Holtfahrtstag“ oder „Hölzgestag“ nennt.

Die Bedeutung des Namens ist in jedem Fall gleich: Es geht um das Hinausfahren in den Wald, um Holz zu schlagen.

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Der Feiertag hat seinen Ursprung in einer Legende der Stadt Köln:

Zur Zeit des Kaisers Vespasian hätten die Legionen am Rhein ihren Anführer zu einem Gegenkaiser ausgerufen, Köln aber sei Vespasian treu geblieben und darauf belagert worden.

Da die Kölner nicht auf eine Entsatzarmee aus dem fernen Rom oder der nächstgelegenen loyalen Provinz hoffen konnten, schien die Lage aussichtslos.

Doch Marsilius, das Oberhaupt des Kölner Senats, erdachte eine kluge Kriegslist:

Er ließ frühmorgens, noch bei Dämmerlicht vor Sonnenaufgang, die Frauen der Stadt mit Holzfällerwerkzeugen, Transportwagen und allem, was sonst noch benötigt wurde, aus der Stadt in Richtung eines nahen Wäldchens ziehen.
Für die Belagerer sollte es wirken, als würden sie versuchen, heimlich und im Schutz der Dämmerung Brennholz für die Stadt zu sammeln.

Die Belagerer sammelten sich, um den Zug der Frauen zu verfolgen.
Und als der Großteil der feindlichen Armee den Frauen nachmarschierte, der Stadt den Rücken zugewandt, befahl Marsilius plötzlich einen Ausfall und das Kölner Heer, das sich genau für diesen Moment bereit gehalten hatte, stürmte aus dem Stadttor und fiel den Feinden überraschend in den Rücken.
So konnten die zahlenmäßig deutlich überlegenen Belagerer besiegt und der Gegenkaiser gefangengenommen werden.

Der Senat verurteilte diesen zum Tode, aber Marsilius überzeugte die Bürgerschaft, ihm das Leben zu schenken, im Gegenzug für eine offizielle Bestätigung aller Rechte und Freiheiten der Stadt Köln.

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Diese Legende war im mittelalterlichen Köln ausgesprochen beliebt und „Der gute Heide Marsilius“ wurde als Stadtheld in ebenso hohen Ehren gehalten, wie die Stadtgründerin Agrippina.

Im Spätmittelalter begegnen uns die ersten Quellen für ein großes Volksfest, mit dem diese Legende jährlich gefeiert wurde.

Leider sind die meisten zeitgenössischen Quellen nur sehr knapp.
Rechnungsbücher erwähnen Ausgaben der Stadträte für das Fest, Verträge nennen den Holtfahrtstag als Termin, aber selten wird irgendetwas darüber erzählt, wie genau dieses Fest ablief und woraus es bestand.

Im „Sagenbuch des Preußischen Staates“ von Johann Georg Theodor Grässe aus dem Jahr 1868/71 (Band 2, Seiten 77-79) habe ich die bislang vollständigste Beschreibung des Festes gefunden, welche ich hier in Gänze zitiere:

Bis in die spätesten Zeiten ehrten aber die Cöllner jenen Sieg des Marsilius durch den sogenannten Holzfahrt- oder Hölzges-Tag, der am Donnerstag nach Pfingsten gefeiert wurde. Schon am Pfingstdienstag ward eine Art Vorfeier desselben gehalten, denn der Cöllner Stadtrath, die Geistlichkeit und Schuljugend zog in feierlicher Procession von der Pantaleonskirche durch das Weyer Thor nach dem Sülzer Kapellchen, wo ein feierliches Hochamt gehalten ward, als aber letzteres im Jahre 1474 niedergerissen ward, ward es nur unter einem Zelte abgehalten. Am nächstfolgenden Tage ward ein Volksfest, ein Vogelschießen gehalten, und am nächsten, dem Donnerstag fand dann die eigentliche Holzfahrt statt. Die Bürger wählten unter sich einen Anführer, den sie Ritter oder Rittmeister nannten. Dieser zog nun schwergewappnet an der Spitze der Bürger nach dem Ossendorfer Büschchen oder nach dem Häuchen, einem Wäldchen bei Sürd, wo sich die Bürgerschaft, nachdem sie ihrem Anführer ein Kränzlein aufgesetzt hatte, mit Spielen im Freien belustigte. Das Kränzchen war eine Anspielung auf den Sieg, den damals Marsilius erfochten und wurde in einem eigenen Schrein bei dem Stadtbanner aufbewahrt; bei feierlichen Gelegenheiten oder Kriegsgefahr, wo das Stadtbanner ausgesteckt ward, zeigte man den Bürgern auch das Kränzchen. Der Rittmeister kehrte nach dieser Krönung in feierlichem Zuge nach der Stadt zurück und die Feierlichkeit schloß mit einem Festschmause im Hause desselben und mit Gelagen der Bürger in der Stadt selbst. Diese großartige Feier der Holzfahrt dauerte bis zum Jahre 1500 fort, da ward sie vom Senate aufgehoben, die Zünfte aber und der Weyerstraßer Gerichtssprengel feierten den Hölzgestag noch durch Schmäuse fort bis zur Ankunft der Franzosen.

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Das Buch macht keine wirklichen Quellenangaben und Sekundärquellen über mittelalterliche Geschichte aus dem 19ten Jahrhundert sind bekannt dafür, dass man sie mit großer Vorsicht genießen muss.

Dennoch passt die Beschreibung durchaus zu dem, was wir von anderen bedeutenden Festen in spätmittelalterlichen Städten kennen:

Ein Fest, das sich über mehrere Tage hinzieht, am ersten Tag mit einer religiösen Prozession und einer Messfeier eingeleitet wird, am zweiten Tag mit einem Wettschießen der städtischen Schützenbruderschaften weitergeht und am dritten Tag schließlich mit einem weiteren Umzug seinen Höhepunkt findet, der diesmal nicht primär religiöser Natur ist, sondern die Legende nachbildet, die den Anlass für das Fest gibt.
Alles verbunden mit großen Festmählern und Spielen, sowohl gemeinsam im Freien wie in auch in kleineren Kreisen in den Häusern der Stadtbewohner.

Im Groben würde ich diese Beschreibung bei aller Vorsicht also zumindest für sehr plausibel halten.

Köln, besaß im Spätmittelalter eine große Vorbildfunktion für andere Städte auf beiden Seiten des Niederrheins (die heute für die lokale Kultur der Region so bedeutende „Erbfeindschaft“ zwischen Köln und Düsseldorf entwickelt sich erst wirklich im Verlauf der Neuzeit).

Die jüngeren und kleineren Städte (beziehungsweise ihre Stadtherren) kopierten die Art, wie Kölns Stadtverwaltung und Wirtschaft organisiert war, sie kopierten kölner Gewichts- und Maßeinheiten und sie übernahmen auch vielfach den Brauch des Holtfahrtstages.

Dabei wurde die Feier jeweils den lokalen Begebenheiten und Bedürfnissen angepasst.

In meiner Heimatstadt Ratingen lag auf dem Mittwoch des Festes kein Wettschießen (das Ratinger Schützenfest lag stattdessen vermutlich auf dem Sonntag nach Pfingsten, also nur ein paar Tage später).

Dafür markierte der Holtfahrtstag in Ratingen, wie in vielen anderen Städten der Region, Beginn und Ende einer Legislaturperiode.

Alle Ämter, die nur für ein Jahr verliehen wurden (darunter auch das des Bürgermeisters) wurden jetzt neu besetzt, eine große Zusammenkunft aller mit vollen politischen Mitspracherechten ausgestatteten Bürger der Stadt wurde auf dem Marktplatz einberufen, bei der die Gesetze und Verordnungen der Stadt öffentlich verlesen wurden (und erst Geltung erlangten, wenn die Masse der Bürger ihnen feierlich zustimmte) und bei der über Entscheidungen, welche nicht durch den Stadtrat allein, sondern durch die gesamte Bürgerschaft geschlossen werden mussten, abgestimmt wurde.

Die Quellen, die ich bislang zu dem Thema gesichtet habe, verraten nicht, wann genau diese Versammlung stattfand, ich würde aber den Mittwoch, an dem in Köln das Wettschießen stattfand, zumindest für eine plausible Annahme halten.

Auch Verträge über Dienstverhältnisse, Darlehen, Geschäfte und dergleichen begannen und endeten mit dem Holtfahrtstag.

Aus dem Stalhof, dem Hansekontor in London, gibt es eine Notiz aus dem 15ten Jahrhundert, die vermerkt, dass zwei Kaufleute aus Ratingen sich für drei Tage frei namen, um den Holtfahrtstag feiern zu können.

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Der Holtfahrtstag ist meiner Meinung nach ein schönes Beispiel für regionale spätmittelalterliche Bräuche und dafür, wie diese sich von einem kulturellen Zentrum aus verbreiteten und dabei immer weiter je nach den örtlichen Umständen veränderten.

Ein Gedanke zu “Holtfahrtstag/Hölzgestag – Ein (fast) vergessener Feiertag vom mittelalterlichen Niederrhein.

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