„Kleider machen Leute“ – Von der Wichtigkeit, „richtig“ gekleidet zu sein.

„Wenn die Leute im Mittelalter soviel Aufhebens um ihr Outfit gemacht hätten, wie manche im Hobby heute… die wären zu nichts Anderem mehr gekommen!“

So schreibt jemand in einer Facebookgruppe der Marktmittelalterszene.

Der Witz ist:

Die Leute im Mittelalter *haben* soviel Aufhebens um ihr Outfit gemacht.

Im Wikingerzeitlichen Skandinavien konnten Männer und Frauen von ihrem Ehepartner geschieden, von ihrer Familie oder sogar vom Dorf verbannt werden, wenn sie Kleidung des anderen Geschlechts trugen.

Im Hochmittelalter versuchen Kirche und Adel vergebens, den unteren Ständen das Tragen bunter und modischer Kleidung zu verbieten.

Im vierten Laterankonzil 1215 legte die Kirche genau fest, wie Kleriker verschiedener Weihegrade sich zu kleiden hatten, um die vollen Rechte und Privilegien ihres geistlichen Standes nutzen zu dürfen.

Die Ordensregeln jedes einzelnen monastischen Ordens legen ziemlich genaue Regeln für den Habit, also die Ordenstracht, fest.

In spätmittelalterlichen Städten wurden Gesetze erlassen, die den schlimmsten ausufernden Luxus an Kleidung und Schmuck eindämmen sollten.

Die reichste Elite rechnete die Geldbußen, die auf Übertretung dieser Gesetze standen, einfach in ihr Budget für Kleidung und Repräsentation mit ein.

Gleichzeitig legten Zünfte fest, dass ihre Mitglieder sich gefälligst nicht zu einfach und lotterhaft kleiden und damit dem Ansehen der Zunft schaden sollten.

Bei Verlassen des Hauses, der Werkstatt oder des Marktstandes war in einigen Zünften des 13ten und 14ten Jahrhunderts immer und ausnahmslos ein Mantel zu tragen, als Zeichen, dass man Besitzer eines zünftigen Gewerbes und nicht irgendwer war.

Ein wiederholtes Übertreten dieser Regeln konnte zunächst Geldbußen, im Extremfall aber auch den Ausschluss aus der Zunft und damit den Verlust der Existenzgrundlage nach sich ziehen.

Der Vater im um 1250 geschriebenen norwegischen Königsspiegel ermahnt seinen Sohn, ja darauf zu achten, dass sein Obergewand immer länger ist, als das Untergewand, weil es sich für einen Herrn nicht geziemt, Leinen sichtbar zu tragen.

Jede neue Modeentwicklung zog Klagen und Proteste von kirchlichen Predigern und alten, konservativen Leuten nach sich, die darin einen Verfall der Sitten und eitle Protzerei sahen.

Der Menagier de Paris ermahnt seine Junge Frau um 1400, sie solle doch um himmels Willen darauf achten, dass die Halsauschnitte und Krägen der verschiedenen Lagen ihrer Kleidung sauber übereinander lagen und sich nicht gegeneinander verschoben, weil sie sonst mit ihrem ungepflegten Aussehen Schande über ihren Haushalt bringen würde.

Generell tragen verheiratete Frauen im christlichen Mittelalter (und in gar nicht so vielen vorchristlichen mittelalterlichen Kulturen) irgendeine Form von Kopfbedeckung.

Je nach Zeit und Region verdecken diese mal mehr mal weniger der Haare und des Kopfes.

Auf jeden Fall wird eine Frau, die nach den modischen Maßstäben ihrer Zeit nicht „züchtig“ genug gekleidet ist, als unmoralisch, unzüchtig, sogar unkeusch gesehen.

Dieser Verlust des öffentlichen Ansehens nicht nur der individuellen Frau, sondern auch ihrer Familie, sowie ihrer eventuellen Arbeitgeber, kann auch ihren Rechtsstatus und ihre materielle Existenzgrundlage gefährden.

Ehefrauen tragen seit dem späten 12ten Jahrhundert das „Gebende“ als sichtbares Zeichen ihres Status als weibliches Oberhaupt eines Haushaltes.

Bei Hof- und Reichstagen gibt es großen Streit, wenn einer der anwesenden Adligen sich nach Meinung der anderen Anwesenden für seinen Stand zu protzig kleidet und damit Ansprüche auf einen höheren Rang signalisiert.

Gleichzeitig müssen Adlige durchgehend mit prunkvoller Kleidung Macht, Wohlstand und Kultiviertheit demonstrieren, um von potenziellen Verbündeten und von potenziellen Feinden gleichmermaßen nicht als schwach, unfähig oder unzuverlässig wahrgenommen zu werden.

Vom Adelshof bis zum Bauernhaushalt statten die Oberhäupter eines Haushaltes ihre Angestellten mit Kleidung aus, die in ihrer Qualität und Reichhaltigkeit ebenfalls die finanziellen Möglichkeiten und die tugendhafte Freigiebigkeit des Hausherren demonstriert.

Immer wieder begegnet uns seit dem 13ten Jahrhundert die Anekdote (immer wieder mit wandelnden Handlungsorten und Akteuren), in der ein hochstehender Gast am Hofe eines noch höher stehenden Gastgebers einen Mantel mit billigem Lammfell als Fütterung überreicht bekommt.

Er zeigt sich zunächst empört über dieses armselige Kleidungsstück, mit dem er abgespeist wird, bis man ihm erklärt, dass es sich um die Felle ungeborener (also per Kaiserschnitt geholter) Lämmer handelt… etwas unglaublich edles und wertvolles.

Der Gast ist gedemütigt und muss sich für seine vorschnelle Empörung entschuldigen.

Den Leuten war *verdammt* wichtig, wie sie selbst und andere gekleidet waren.

Und wer sich nicht an die Moden und die Normen was „anständige“ und „standesgemäße“ Kleidung anbetraf hielt, riskierte den eigenen guten Ruf, den eigenen Rechtsstatus und die eigene Existenzgrundlage zu verlieren… und den Ruf, den Status und die Existenzgrundlage seines gesamten Haushaltes.

Das Mittelalter war absolut keine Zeit für Individualisten.

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