„Eheduelle“ im Mittelalter?

Seit einiger Zeit liest und hört man immer häufiger die Geschichte von angeblichen „Eheduellen“ im Mittelalter.

Diese Erzählung geht so:

„Wenn sich Ehepaare im Streit befanden und sich nicht anders einigen konnten, konnte von einem Gericht ein Zweikampf zwischen ihnen angeordnet werden, um den Streit so beizulegen.

Um diesen Kampf zwischen Mann und Frau aber fair zu machen, wurde der Mann auf verschiedene Arten benachteiligt:

Meist musste er bis zu den Hüften in einer Grube stehen, während die Frau sich frei bewegen konnte.

Manchmal liest man etwas davon, dass er sogar eine Hand auf den Rücken gebunden gehabt hätte.

Zudem hätte er unbewaffnet oder mit einer hölzernen Keule kämpfen müssen, während die Frau einen Stein in ihr Schleiertuch gewickelt als Flegel benutzen konnte.“

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Was ist jetzt dran an dieser Geschichte?

Kurz gesagt: Nichts.

Es gab keine „Duelle“, mit denen Ehestreitigkeiten beigelegt wurden.

Was es gab, waren gerichtliche Zweikämpfe.

Die konnten vom Gericht auf Antrag des Klägers oder Klägerin angeordnet werden, wenn für die Schuld des/der Angeklagten zwar extrem drückende Indizienbeweise vorlagen, aber weder ein Geständnis, noch die Aussagen wenigstens zweier voneinander unabhängiger Augenzeugen, von denen wenigstens eines nach mittelalterlicher (und frühneuzeitlicher) Rechtstradition für eine Verurteilung notwendig war.

Zusätzlich dazu musste es sich bei dem Verbrechen, dessen der/die Angeklagte beschuldigt wurde, um etwas ausreichend schwerwiegendes handeln, dass die Todesstrafe dafür möglich war.

Mord, Raub, Brandstiftung, Giftmischerei, Hochverrat, Vergewaltigung…

Das Ganze hatte also so *gar nichts* mit reinen Ehestreitigkeiten zu tun.

Dieser gerichtliche Zweikampf (genau wie das Gottesurteil, von dem er ja quasi eine Unterform war) sollte vor Allem abschreckende Wirkung haben und den/die Angeklagte*n dazu bewegen, angesichts der drückenden Beweislage doch zu gestehen.

Der Gedanke dahinter war im Grunde:

„Okay, wir dürfen dich rein technisch gesehen nicht verurteilen. Aber wir sind so DERMASSEN von deiner Schuld überzeugt, dass wir buchstäblich ein Wunder verlangen, bevor wir dich freisprechen.“

Diesen gerichtlichen Zweikampf konnten Kläger*in und Angeklagte*r durchaus selbst ausfechten… sie konnten aber auch einen professionellen Fechter anheuern, der für sie kämpfte.

Wurde dieser Fechter beim Gerichtskampf aber verletzt oder sogar getötet, musste die Partei, die ihn angeheuert hatte, sich aber wegen Körperverletzung oder sogar Mordes verantworten.

Schließlich hatte sie jemand anderen für sich kämpfen lassen, wissend, dass sie nicht im Recht waren und Gott dem Fechter daher nicht helfen würde…

Wenn eine oder beide Parteien aber entschieden, selbst zu kämpfen, hatten sie einen Rechtsanspruch darauf, vorher Fechtunterricht zu bekommen, den das Gericht organisierte und bezahlte.

Das war ein großer Teil dessen, wie spätmittelalterliche Fechtmeister wie Talhoffer ihren Lebensunterhalt bestritten.

Dass ich hier im Text gendere ist kein Versehen, es gab tatsächlich auch Frauen als Klägerinnen und Angeklagte bei Prozessen, die in einem gerichtlichen Zweikampf endeten.

Und einige Frauen haben diesen gerichtlichen Zweikampf nachweislich selbst ausgefochten!

Nun gab es einige Fechtmeister, die sich im Spätmittelalter Gedanken darüber gemacht und Vorschläge veröffentlicht haben, wie man solch einen gerichtlichen Zweikampf zwischen einem Mann und einer Frau theoretisch „fairer“ gestalten konnte.

Da stammen die Bilder und Beschreibungen her, die einen Mann bis zu den Hüften in einer Grube stehend mit einem Holzkolben als Waffe zeigen und die Frau außerhalb der Grube mit einem Stein in ihrem Schleiertuch als Flegel… oder ähnliche Ideen.

Der Punkt ist aber:

Nach den Quellen die wir haben, blieben diese theoretischen Überlegungen genau das – theoretische Überlegungen.

Alle Quellen, die wir für gerichtliche Zweikämpfe zwischen Männern und Frauen haben, berichten, dass beide in der selben Art, mit der selben Ausrüstung kämpften, wie zwei Männer das gegeneinander getan hätten.

Und es gibt tatsächlich auch belegte Beispiele für Frauen, die gerichtliche Zweikämpfe gewannen!

Wir sehen also:

Die historische Realität ist wie fast immer nicht nur komplizierter, sondern vor Allem auch um einiges spannender, als die doofen Klischees, die daraus gemacht werden.

Ein Gedanke zu “„Eheduelle“ im Mittelalter?

  1. Vielen Dank für diesen schönen Beitrag? Habt ihr vielleicht Fachliteratur zu den Eheduellen, die Frauen ausgefochten haben, um sich da weiter einlesen zu können?

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