Julkranz, Julleuchter und andere „Weihnachtsbräuche“ aus dem Hause Himmler.

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Dieser Tage kann man wieder überall im Internet lesen und hören, dass Weihnachten ursprünglich auf dem germanischen Julfest besieren würde.
Die frühe Kirche hätte festgestellt, dass dieses Fest zu beliebt bei der Bevölkerung war, um es effektiv verbieten zu können, also hätte sie es zu einem christlichen Fest umgedeutet und für sich vereinnahmt, um die Germanen so leichter christianisieren zu können.

Wir haben auf unserem Blog bereits darüber geschrieben, warum diese Behauptung (ebenso wie die Behauptung, Weihnachten sei eigentlich das römische Fest zum Geburtstag des unbesiegbaren Sonnengottes) historisch nicht haltbar, sondern ein moderner Mythos ist:

Aber hier und heute soll es um einen besonderen Aspekt des Mythos von den angeblich heidnischen Wurzeln des Weihnachtsfestes gehen.

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Nicht nur dem Datum des Festes wird immer wieder nachgesagt, dass es angeblich von einem vorchristlichen heidnischen Fest übernommen worden sei, sondern es werden immer wieder auch konkrete Bräuche genannt, die heute für die meisten Menschen untrennbar zum Weihnachtsfest gehören und die angeblich von uralten heidnisch-germanischen Jultraditionen kopiert wären.

Nun sind pseudohistorische Behauptungen grundsätzlich etwas, dem zu widersprechen richtig und notwendig ist.
Aber in diesem Fall bekommen diese Behauptungen nochmal eine weitere Dimension, die Widerspruch um so notwendiger macht:

Eine Menge dieser angeblichen „heidnischen Vorgängerbräuche“ sind direkte Erfindungen der Abteilung Ahnenerbe unter Heinrich Himmler im dritten Reich.

Das Ahnenerbe verbreitete allgemein eine Menge gefährlicher Pseudogeschichte, die eine historische Legitimation der völkischen Identität und Ideologie des Naziregimes liefern sollte.
Das war quasi seine Hauptaufgabe.

Wir kommen hier auf diesem Blog ja immer wieder auf diese Organisation zu sprechen, wenn es um Mythen bezüglich Germanen, Heidentum, katholischer Kirche, Hexen und ähnlicher Themen geht.

Im Zusammenhang mit den großen christlichen Festen tat die Abteilung Ahnenerbe hierbei nun genau das, was sie selbst der frühmittelalterlichen Kirche vorwarf:

Sie nahm bestehende religiöse Feste, die in der Bevölkerung tief verwurzelt und beliebt waren, und deutete diese im Sinne ihrer eigenen Ideologie neu um, mit dem Ziel, diese Ideologie so leichter unter’s Volk bringen zu können.

Das christliche Weihnachten sollte so langfristig Stück für Stück durch das völkische „Jul“ ersetzt werden, das mit dem realen vorchristlichen skandinavischen Feiertag des selben Namens natürlich nichts gemeinsam hatte.

Hierzu wurden alle möglichen angeblich uralten, germanisch-heidnischen Julbräuche erfunden, die der gute regimetreue Haushalt anstelle der Weihnachtsbräuche feiern sollte.

In der breiten Masse der Bevölkerung fanden diese Bräuche wenig bis garkeinen Anklang (nur die Behauptung, dass diese Bräuche tatsächlich uralte germanische Traditionen seien, welche die Kirche kopiert und die Weihnachtsbräuche daraus gemacht hätte, sollte sich als frustrierend hartnäckig erweisen). Die meisten feierten Weihnachten genau so weiter, wie bisher auch.

Aber unter den führenden Rängen der SS, die sich ja nicht nur als Hitlers persönliche Leibwache, sondern als Ritterorden, als Bewahrer der wahren deutschen Kultur, Religion und Identität verstand, als Elite der Elite des Reiches… unter diesen führenden Mitgliedern wurden die „neuen alten“ Julbräuche tatsächlich sehr aggressiv und auch durchaus erfolgreich verbreitet.

Jedes Jahr gab es aus der eigenen Porzellanmanufaktur der SS einen Julteller, der in die Kultecke der Wohnung an die Wand gehängt und bei den Festen im Jahreskreis für zeremonielle Handlungen verwendet werden sollte.

Der „Julleuchter“ wurde erfunden, ein Kerzenständer, der auf einer Form basiert, die vom 16ten bis ins 18te Jahrhundert im skandinavischen Raum verbreitet war, für die es allerdings keinerlei archäologische oder sonstige Nachweise aus vorchristlicher Zeit, geschweige denn Nachweise für eine Verbindung zum Julfest gibt.

Diese „Julleuchter“ wurden im KZ-Dachau und im KZ-Neuengamme von Häftlingen unter Zwangsarbeit massenproduziert und in den Ritualen der SS verwendet.

Heute sieht man diesen „Julleuchter“ mitsamt der Wort für Wort von den Nazis stammenden Erklärung zu seiner angeblich vorchristlichen Verwendung im germanischen Julfest leider immer noch zu Hauf in Onlineshops, die sich an Neoheiden richten.
Auch pseudohistorische Artikel im Internet und in Szenezeitschriften „informieren“ über die angeblich uralte Geschichte und heidnische Bedeutung dieses Kerzenständers.

https://de.wikipedia.org/wiki/Julleuchter

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Ein anderes Paradebeispiel ist der „Julkranz“. Dieser hätte genau so ausgesehen und sei genau so verwendet worden, wie der christliche Adventskranz heute, mit mehreren Kerzen, von denen in den Wochen vor Jul immer mehr angezündet werden, quasi als „Countdown“ für das kommende Fest.

Das Problem hierbei ist:
Der Adventskranz ist kein uralter Brauch, der im Frühmittelalter von den Germanen übernommen wurde… er stammt aus dem 19ten Jahrundert.
Er wurde von einem evanglischen Theologen für ein von ihm mitgegründetes Kinderheim in Hamburg erfunden, um den Kindern das Warten auf das Weihnachtsfest zu verkürzen.

Diese Entstehungsgeschichte ist *sehr* sicher belegt. Es gibt keinerlei Nachweise, dass dieser Brauch älter wäre und schon gar keine Nachweise, dass er von den Germanen vor der Christianisierung praktiziert worden sei.

Auch der Julkranz als angeblicher germanisch-heidnischer Vorläufer des Adventskranzes ist zu 100% eine Erfindung der Nazis.

Auch der pseudohistorische Mythos vom Julkranz wird dieser Tage immer wieder online wie offline verbreitet und einige Neoheiden, die sich nie mit der Ideologie der Nazis identifizieren würden, verwenden einen Julkranz in ihrer Wohnung, einfach weil sie nicht wissen, wo dieser angeblich heidnische Brauch tatsächlich herkommt.

https://de.wikipedia.org/wiki/Adventskranz

Auch linsenförmige „Julkugeln“ mit pseudogermanischen Motiven, die man sich an die „Jultanne“ hängen kann, findet man immer noch zum Verkauf angeboten.
Und auch hier handelt es sich um eine Erfindung der Nazis:

https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/kulturgut/article/view/18705/12514

Es ist wichtig, das noch einmal zu betonen:

Weder bei Julleuchter noch bei Julkranz oder Julkugeln handelt es sich um alte heidnische Traditionen oder Kulturelemente, die von den Nazis nur missbraucht wurden und die man sich jetzt wieder „zurückholen“ könnte.
Beides ist zu 100% eine Erfindung der Nazis und hat NICHTS mit irgendeinem germanischen oder sonstigen Heidentum vor ihnen zu tun.

Die Behauptungen, der Weihnachtsbaum sei eine christliche Umdeutung der alten germanischen „Jultanne“ und der Weihnachtsmann ursprünglich der nordische Göttervater Odin sei, der bei seiner Wilden Jagd Geschenke für brave Wikingerkinder zurückließ, die ihre Stiefel mit Heu als Futter für sein Ross füllten und vor die Türen ihrer Langhäuser stellten, wurden von den Nazis zwar ebenfalls begeistert aufgegriffen und weiter ausgeschmückt, aber zumindest nicht direkt von ihnen erfunden.

Diese Mythen stammen aus der Nationalromantik und der frühen völkischen Bewegung des 19ten Jahrhunderts.

Mehr dazu, warum diese beiden Behauptungen historisch nicht haltbar sind, gibt es in unserem oben verlinkten Blogpost zu den angeblichen heidnischen Ursprüngen von Weihnachten zu lesen.

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Jenen, die sich näher mit dem pseudogermanischen völkischen Kult der SS beschäftigen wollen, sei an dieser Stelle die 1940 herausgegebene Broschüre „Die Gestaltung der Feste im Jahres- und Lebenslauf in der SS-Familie“ als Primärquelle empfohlen, von der sich über Google leicht ein Scan als PDF Datei finden lässt.

Es ist eine Quelle, die sowohl aufzeigt, wie komplett irre der Kult um Himmlers Dunstkreis tatsächlich war, als auch, wie erschreckend groß der Anteil des heute verbreiteten Pseudowissens über heidnische Bräuche, Traditionen und Glaubensvorstellungen tatsächlich ist, der direkt aus der Feder der Abteilung Ahnenerbe stammt.

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Fazit:

Mir geht es mit diesem Beitrag ausdrücklich NICHT darum, alle, die einem neoheidnischen Glauben anhängen, pauschal als Nazis zu bezeichnen.
Nicht einmal jene, die einige oder sogar alle der hier beschriebenen von den Nazis erfundenen pseudohistorischen Julbräuche bislang praktiziert oder geglaubt haben, dass es sich dabei tatsächlich um alte vorchristliche Bräuche der Germanen handelt.

Mir ist völlig bewusst, dass die allermeisten keine Ahnung haben, wo diese Falschinformationen herkommen und nicht wissentlich und absichtlich Traditionen fortführen und Pseudogeschichte weiterverbreiten, die für den NS Kult erfunden wurden.

Aber eben deshalb halte ich es für um so wichtiger, über die realen Ursprünge dieser angeblich „heidnisch-germanischen“ Bräuche aufzuklären.

Wenn ich unwissentlich Rituale durchführen und Behauptungen wiederholen würde, die von den Nazis erfunden wurden, dann würde ich wollen, dass man mich darauf hinweist.

Es ist natürlich keine schöne oder angenehme Erkenntnis, einem Stück Nazi-Ideologie gefolgt zu sein und es sogar selbst weiterverbreitet zu haben (und ich weiß das, denn ich habe diese Erkenntnis in den 20 Jahren, die ich mich mit mittelalterlicher Geschichte beschäftige, mehrfach selbst machen müssen).

Aber besser, man bekommt die Chance, die eigenen unabsichtlichen Fehler zu erkennen und zu korrigieren, als dass man sie unwissend weiter fortsetzt.

Ich verurteile hier niemanden dafür, etwas nicht besser gewusst zu haben.
Ich beurteile Leute höchstens dafür, wie sie jetzt, da sie es besser wissen, mit diesem Wissen umgehen.
Ob sie bereit sind, zu lernen und sich zu korrigieren… oder ob sie die unbequeme Wahrheit leugnen und zum Angriff auf den Verkünder der schlechten Nachricht übergehen.

2 Gedanken zu “Julkranz, Julleuchter und andere „Weihnachtsbräuche“ aus dem Hause Himmler.

  1. Das Problem ist halt, dass es an Nachweisen für Feste fehlt, aus denen sich das Weihnachtsfest hätte entwickeln können.

    Bei den drei Festen, die immer als Ursprung des Weihnachtsfestes genannt werden, funktioniert diese Behauptung einfach historisch nicht.

    Als der Kirchenlehrer Hippolyt sich Anfang des dritten Jahrhunderts unter den römischen Christen mit dem von ihm errechneten Geburtsdatum Jesu am 25. Dezember durchsetzt, gibt es kein großes römisches oder germanisches Fest an diesem Datum, aus dem sich Weihnachten hätte entwickeln können.

    Die Saturnalien endeten deutlich vor dem 25. und wurden auch in späteren Jahrhunderten von Christen und Nichtchristen in Rom als von Weihnachten völlig unabhängiges Fest gesehen.

    Der Geburtstag des unbesiegbaren Sonnengottes kommt erst Jahrzehnte nach Hippolyt auf.

    Und Jul wurde ursprünglich an einem anderen Datum gefeiert, bevor es von Hakon dem Guten im 10ten Jahrhundert auf das Datum von Weihnachten verlegt wurde.

    Für eine Kontinuität müsste man also erstmal etwas nachweisen, das vor Weihnachten an diesem Tag da war und aus dem sich eine Kontinuität ergeben könnte.

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  2. Schwieriges Thema, weil es abgesehen von den zum Teil plumpen Nazi-Fälschungen doch so wenig wirklich Belastbares gibt und am Ende alles Theorie bleiben muss, wenn auch manche belastbarer als Andere. So ist der völlig NS- und neopagan-unverdächtige, sehr seriöse Hermann Usener auch der Auffassung gewesen, dass sich das christliche Weihnachtsfest aus vorherigen heidnischen Festen entwickelte. Allerdings weniger weil Irgendwer etwas „okkupierte“, sondern weil er die Meinung vertrat, dass es bei Ritualen einen starken Hang zur Kontinuität gibt. Und da kann durchaus etwas dran sein, denn ich meine vollkommen unchristliche Familie feiert auf tiefer Überzeugung und mit Inbrunst das Weihnachtsfest. Auch der Kirchenhistoriker Hans Lietzmann folgt dem weitestgehend und erweitert diese Sichtweise noch um eigene Aspekte.

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