Gasthäuser um 1300



.

Im Früh- und frühen Hochmittelalter waren Reisende fast komplett auf die alte Tradition der privaten Gastfreundschaft angewiesen gewesen.

Reisenden, die an die Tür klopften und um Aufnahme baten, wenigstens einen Schlafplatz für eine Nacht und eine Mahlzeit anzubieten, galt als heilige Pflicht, die uns schon in den ältesten schriftlichen Quellen quasi jeder einzelnen europäischen Kultur begegnet.

Von den Gästen wurde eine Gegenleistung nach ihren Möglichkeiten erwartet.

Bezahlung in Geld oder anderen materiellen Gütern war eine Möglichkeit.
Arbeit für die Gastgeber eine andere.
Zumindest aber ein Segenswunsch und eine Fürbitte für die Gastgeber bei Gott oder den Göttern.

Eine andere, nicht zu unterschätzende,Gegenleistung, die Reisende für ihre Unterkunft anbieten konnten, waren Nachrichten und Neuigkeiten aus der Fremde.
In einer Zeit vor dem Internet, vor Fernsehen, Radio und sogar Zeitungen oder auch nur Flugblättern, bestand die einzige Möglichkeit, von Ereignissen zu erfahren, die außerhalb des eigenen Bewegungsraumes lagen, darin, Berichte von Reisenden darüber zu hören.
Und selbst, wenn die Gäste nur neue Lieder, fiktive Geschichten oder Witze mitbrachten, die man noch nicht kannte, war auch das eine willkommene Abwechslung vom Gewohnten.

Gäste galten für die Zeit ihres Aufenthaltes als Teil der Hausgemeinschaft, der „Familia“ des Hausherren. Damit war dieser für ihren Schutz und ihr Wohlergehen verantwortlich, sie ihm aber auch genau so zu Gehorsam und Dienst verpflichtet, wie jedes andere Mitglied der Hausgemeinschaft.

Für Gewöhnlich kam man nach Möglichkeit bei Standesgenossen unter.
Adlige auf Reisen baten an den Höfen anderer Adliger um Gastfreundschaft, fahrende Handwerker und Händler bei Handwerkern und Händlern.

Eine nicht private Möglichkeit, als Reisender unterzukommen, bestand noch in den Hospitälern der Klöster und größeren Kirchen, die neben Kranken und Armen auch Reisende zumindest für eine Nacht aufnahmen.

Im Laufe des 13ten Jahrhunderts, mit dem massiven Wachstum der Städte und der Wirtschaft, der größeren sozialen Mobilität und der dadurch extrem stark angewachsenen Zahl von Reisenden auf Europas Straßen, wurden zum ersten Mal seit dem Fall des römischen Imperiums auch gewerbliche Gasthäuser wieder zu einem alltäglichen Anblick, zumindest in den größeren Städten.

Das Gastgewerbe ist eine der gewerblichen Tätigkeiten, die in spätmittelalterlichen Städten besonders häufig selbstständig von Frauen ausgeübt wurden.
Es passte zum sozialen Rollenbild der Frau im Mittelalter, zu deren traditionellen Aufgaben die Sorge um Gäste gehörte.
Und es war eine Tätigkeit, die sich von Ehefrauen, deren Männer einem anderen Gewerbe nachgingen, hervorragend als Nebenverdienst für die Familie betreiben ließ.

Diese, Ende 2022 in der historischen Pilgerherberge Lippoldsberg entstandene, Fotostrecke soll daher über den Alltag in einem fiktiven idealtypischen Gasthaus erzählen.
Von den alltäglichen Arbeiten, um die sich eine Gastwirtin kümmern musste, von den Dienstleistungen, die sie ihren Gästen anbieten konnte, und von den Pflichten, die sie gegenüber ihren Gästen sowie der Stadtobrigkeit hatte.

Zum Weiterlesen:

„Die Frau in der mittelalterlichen Stadt“ von Erika Uitz

Ein allgemein extrem lesenswertes Buch über die sehr unterschiedlichen Rechte und Möglichkeiten zum selbstständigen Wirtschaften Frauen in verschiedenen mittelalterlichen Städten hatten.
Ein Kapitel beschäftigt sich insbesondere mit Frauen als Gastwirtinnen und ihren Aufgaben.
Dieses Kapitel war die Hauptinspiration für diesen Beitrag.

Professionelles Gastgewerbe im Spätmittelalter konnte eine Vielzahl verschiedener Formen annehmen, für die auch verschiedene Genehmigungen und Lizenzen notwendig waren, um sie innerhalb einer Stadt betreiben zu können.

Die simpelste Form von Gaststätte war die Trinkstube.
Wie in einer modernen Bar konnten die Gäste hier Bier und/oder Wein bekommen.

Die nächste Stufe stellen Gaststätten dar, die zusätzlich zum Ausschank von Getränken auch Mahlzeiten servierten.

Und zuletzt gab es die „vollwertigen“ Gasthäuser, die neben der Bewirtung mit Speis und Trank auch eine Unterkunft anboten.

In einem solchen vollwertigen Gasthaus befinden wir uns hier.

Die Wirtin bringt zusammen mit einer ihrer Mägde Getränke und Speisen in die Gaststube.

So weit die erhaltenen Quellen es uns zeigen, scheint es in spätmittelalterlichen Gasthäusern keine Theke gegeben zu haben, wie wir es von modernen Kneipen und Restaurants gewohnt sind.
Stattdessen wurde man wohl einfach am Tisch bedient.

Das Gasthaus ist ein Ort der Begegnung, an dem Menschen aus allen sozialen Schichten, Fremde ebenso wie Ortsansässige, aufeinandertreffen und miteinander ins Gespräch kommen.

Ein schönes Beispiel aus dem Spätmittelalter ist die bunt zusammengewürfelte Pilgergruppe aus den um 1400 herum geschriebenen „Canterbury Tales“, die sich in einer Londoner Gaststätte zusammengefunden und entschieden hat, den Weg zum gemeinsamen Ziel Canterbury gemeinsam fortzusetzen (und der sich sogar der Wirt der Gaststätte spontan anschließt!).

Hier sehen wir am Tisch ein Spektrum, das von einem gut gekleideten bürgerlichen Ehepaar bis zu einem Pilger in einfacher Reisekleidung reicht.

Alle vertieft ins Gespräch, die Zungen und die Stimmung gelockert, durch die Getränke, die die Magd ausschenkt.

An den meisten befriedeten Orten regeln schriftliche Gesetze und mündlich tradiertes Gewohnheitsrecht, wer wann und wo welche Arten von Waffen tragen darf.

Es gilt als durchaus normal, bewaffnet zu reisen.

Trotz aller Bemühungen der lokalen Machthaber, die großen Handelsstraßen sicher zu halten, kann die Gefahr durch Räuber und wilde Tiere doch nie ganz ausgemerzt werden.

Beim Erreichen einer befriedeten Siedlung aber wird vom Reisenden normalerweise erwartet, dass er seine Waffen möglichst schnell bei seiner Unterkunft ablegt und dort auch belässt, bis er den Ort wieder verlassen will.

Der reisende Kaufmann hier im Bild übergibt sein Schwert am Eingang zur Gaststätte der Wirtin, die es für ihn sicher aufbewahren wird, bis er sich wieder zum Aufbruch bereit macht.

Sie ist der Stadt gegenüber dazu verpflichtet, niemanden bei sich aufzunehmen, ohne sicherzugehen, dass seine Waffen für die Dauer seines Aufenthaltes sicher bei ihr bleiben und keiner ihrer Gäste einfach bewaffnet durch die Stadt spaziert.

Nicht nur Menschen bietet das Gasthaus eine sichere und Trockene Bleibe.

Auch für ihre Waren bietet sie einen sicher abgeschlossenen Lagerraum an, damit diese nicht im Stall des Gasthauses auf dem Karren oder Wagen oder gar neben dem Packtier auf dem Boden bleiben müssen, wo nicht nur Diebe leicht an sie herankämen, sondern ebenso Feuchtigkeit, Schmutz und Tiere.

Hier trägt ein Knecht des Gasthauses einen Sack mit Waren durch die Tür, während der Kaufmann, dem die Waren gehören, argwöhnisch zuschaut und sichergeht, dass sein wertvolles Gut auch sorgsam behandelt wird.

Er wird die Waren des Kaufmanns auf den abgeschlossenen Dachboden des Gasthauses bringen, zu dem nur die Wirtin einen Schlüssel hat.

Sobald er damit fertig ist, wird die Wirtin nicht nur den Dachboden abschließen, sondern auch mit dem Kaufmann zusammen penibel genau schriftlich festhalten, welche Waren in welcher Menge sie für ihn aufbewahrt.

Manche Gasthäuser lagern nicht nur kurzfristig die Waren von Kaufleuten, die gerade auf der Durchreise sind, sondern bieten sogar deutlich längerfristige Lagerung an.
Etwa, wenn ein Kaufmann auf einem Jahrmarkt Waren gekauft hat, die er aber erst plant, im kommenden Jahr wieder zu verkaufen.

Die Stadtobrigkeit verpflichtet alle Wirte, genau aufzuschreiben, wer ihre Gäste sind, wo sie herkommen, wo sie von der Stadt aus weiter hin reisen wollen und was der Grund ihres Aufenthaltes ist.

Verdächtige Gäste sollen sie sofort melden und ihnen die Beherbergung verweigern.

Die Wirtin hat sich hier zu genau diesem Zweck gegenüber einem neu angekommenen Gast an den Tisch gesetzt und befragt ihn.

Auf ihrer Wachsschreibtafel notiert sie, dass er Hausierer ist und vorhat, auf dem Wochenmarkt morgen die Waren in seiner Kiepe zu verkaufen und hoffentlich neue Waren zu finden, mit denen er sich dann auf den Weg zum Wochenmarkt der Nachbarstadt machen kann, der zwei Tage später stattfindet.

Solche Gäste sind nichts ungewöhnliches. Seine Geschichte klingt glaubhaft und seine Kleidung und das, was er bei sich hat passt zu dem, was er behauptet, zu sein und vorzuhaben.

Sie wird die Wachstafel trotzdem auch ein paar Wochen nachdem er wieder gegangen ist, aufbewahren, falls es Beschwerden oder Anzeigen gegen ihn gibt und das städtische Gericht von ihr Informationen haben will, wer er war und wo man am besten Anfangen könnte, nach ihm zu suchen.

Eine wichtige Aufgabe von Herbergswirt*innen war das Knüpfen von Kontakten zwischen ihren Gästen und das Dienen als Informationsquelle.

Auch hierfür dient die im vorherigen Bild gezeigte Befragung aller ihrer Gäste.

Der Kaufmann, der im Gasthaus unterkommt, will zum Jahrmarkt in einer benachbarten Stadt.

Da es normalerweise üblich ist, zum gegenseitigen Schutz nicht alleine sondern in Gruppen zu reisen, fragt er die Wirtin, ob noch andere ihrer Gäste in den nächsten Tagen in die selbe Richtung aufbrechen wollen.

Sie deutet auf den Pilger, der ihr bei seiner Ankunft erzählt hatte, dass die besagte Stadt sein nächster Zwischenstopp auf dem Weg zu seinem Ziel sein wird.

Ebenso vermittelt sie zwischen Kaufleuten, wenn sie weiß, dass der eine Waren bei sich hat, die der andere sucht.

Für diese Vermittlung von Geschäften nimmt sie normalerweise einen kleinen Teil des Verkaufswertes als Gebühr.

Sie lässt sich von Reisenden erzählen, wie die Preise in verschiedenen Regionen sind, ob es irgendwo Kriege, Unruhen, Missernten oder Unwetter gab, auf welchen Straßen im Moment besonders häufig über Räuber oder wilde Tiere berichtet wird und auf welchen schon wieder ein neuer Zoll erhoben wird oder der alte Zoll angestiegen ist.

Eine besonders gut informierte Wirtin kann mehr Kunden in ihr Gasthaus ziehen, als eine, die besonders gutes Bier, besonders herzhafte Suppe oder besonders weiche Betten anbietet.

Wir haben gesehen, dass die Wirtin für die Sicherheit ihrer Gäste und deren beweglicher Habe ist, die sich in ihrem Gasthaus befinden.

Wir haben gelernt, dass die Stadtobrigkeit sie verpflichtete, genau Buch zu führen, wen sie beherbergte, von wo ihre Gäste kamen, wohin sie wollten und zu welchem Zweck.

Aber noch eine andere wichtige Pflicht war ihr auferlegt:

Die, für die „moralische Reinheit“ und den guten Ruf sowohl ihres Gasthauses als auch der Stadt als ganzes Sorge zu tragen.

Gäste, die sich betranken oder sich sonstwie ungebührlich verhielten, musste sie ebenso ihres Hauses verweisen, wie Gäste, die sich verdächtig verhielten und ihr Grund zu der Annahme gaben, dass sie Kriminelle beherbergen könnte.

Streng verboten war es ihr, zuzulassen, dass Prostiturierte in ihrem Gasthaus ihre Dienste anboten.

Und auch Glücksspiel sollte sie unter gar keinen Umständen in ihrem Haus dulden.

Gllücksspiel war in den meisten spätmittelalterlichen Städten entweder komplett verboten oder zumindest extrem streng reglementiert.
Das hatte zum Einen religiöse Gründe (Glücksspiel galt als Sünde und die Gewinne als „unehrlich erworbenes Gut“).

Aber auch aus ganz pragmatischen Überlegungen heraus ergab die strenge Haltung gegenüber Glücksspiel Sinn:

Die Stadt hatte kein Interesse daran, dass ihre Bewohner all ihren Besitz verspielten, sich selbst in die Armut brachten und dann auf Unterstützung durch die Allgemeinheit angewiesen waren.
Und nicht zuletzt führte Glücksspiel oft zu Streit und sogar zu gewalttätigen Auseinandersetzungen.

All das führt dazu, dass unsere Wirtin hier im Bild zwei Gäste, die sie beim Würfelspiel erwischt hat, mit strengem Blick des Hauses verweist, mit ihrem Knecht hinter ihr bereit stehend, falls die Gäste nicht freiwillig gehen.

Hinterlasse einen Kommentar