Chordame – Stiftsdame – Kanonisse

Frauen aus der Oberschicht (Adel oder reiches Bürgertum), die ein religiöses Leben in einer klosterähnlichen Gemeinschaft führten, in dieser Keuschheit und Gehorsam gelobten, aber im Gegensatz zu Nonnen keine ewigen Gelübde ablegten, die Gemeinschaft also auch wieder verlassen durften (etwa, um zu heiraten).

Es gab verschiedene Gründe, in ein Damenstift einzutreten:

-Es fand sich kein passender Ehemann für die Dame, die Familie wollte sie aber auf ehrbare Weise untergebracht und abgesichert wissen.

-Die Dame wollte nicht heiraten und das religiöse Leben bot eine standesgemäße und sozial akzeptable Alternative.

-Die Dame hegte tatsächlich aus echter religiöser Motivation heraus den Wunsch, ihr Leben in den Dienst Gottes zu stellen.

-Die Familie wollte die politischen Beziehungen mit dem Stift oder dessen adligem Förderer stärken, indem sie eine ihrer Töchter ins Stift gaben.

Wie bei Nonnenklöstern auch, brachten die Chordamen beim Eintritt in die Gemeinschaft eine Mitgift mit.

Zunächst durchliefen sie eine Probezeit, in der sie das Leben im Stift kennenlernten und eine religiöse sowie allgemeine Ausbildung erhielten.

Nach Ablauf dieses Noviziats (das von Fall zu Fall und von Stift zu Stift sehr unterschiedlich lang sein konnte) legten sie ihre Gelübde ab und wurden von der Äbtissin feierlich in die Gemeinschaft aufgenommen.

Das Damenstift begann normalerweise damit, dass ein Adliger oder ein Bischof einer Gemeinschaft von Frauen die nötigen Gebäude zur Verfügung stellte („stiftete“), ebenso wie Landbesitz, aus dem sich die Gemeinschaft versorgen konnte (die so genannten „Pfründe“).

Vielen Damenstiften wurden im Laufe ihres Bestehens aber auch noch von anderen Förderern Land, Zollrechte und andere Einnahmequellen, sowie auch einfach direkt Geld gespendet.

Einige Stifte konnten es so zu immenser Macht und immensem Reichtum bringen.

Die Leiterin des Stifts Essen regierte schließlich ein reichsunmittelbares Territorium, das nur noch dem Kaiser unterstand, und führte deshalb den eindrucksvollen Titel einer „Fürstäbtissin“.

Die Damenstifte unterstanden normalerweise einer Leiterin, die von Stift zu Stift unterschiedlich mal vom Stifter ernannt, mal von den Stiftsdamen gewählt wurde, in manchen Stiften als Herrin (Domina) in anderen genau wie in Nonnenklöstern als „Äbtissin“ bezeichnet wurde.

In jedem Fall war die Leiterin eines Stifts die Einzige, die bei der Annahme ihres Amtes auf jeden Fall die ewigen Gelübte ablegen musste, sich also danach nicht mehr für einen anderen Lebensweg entscheiden durfte.

Die wichtigste Aufgabe von Stiftsdamen bestand im gemeinsamen Chorgebet für das Seelenheil der Stifter, die die Gemeinschaft mit Spenden versorgten, und deren Verwandten.

Daneben betrieben viele Damenstifte, genau wie Frauenklöster auch, Spitäler und Armenküchen.

Die Töchter des Adels und des reichen Bürgertums verbrachten manchmal einen Teil ihrer Kindheit und Jugend in einem Damenstift, um dort Bildung und Unterweisung in standesgemäßem Benehmen und christlicher Moral zu erhalten.

Einige Damenstifte beschäftigten sich auch mit der Textilarbeit, vor allem feinen Stickereien für liturgische Gewänder, Altartücher und ähnliche Textilien für den kirchlichen Gebrauch.

Diese wurden oft mit reichen Spenden an das Stift vergütet.

Und nicht zuletzt nutzten gar nicht wenige Stiftsdamen die Zeit und Muße, um sich mit Philosophie, Theologie, Recht, Literatur und den Naturwissenschaften zu beschäftigen und sogar selbst bedeutende und anerkannte Werke auf diesen Gebieten zu schreiben.

Die Organisationsstruktur und der Lebensalltag in einem Damenstift konnten sich von Gemeinschaft zu Gemeinschaft extrem unterscheiden.

Insbesondere gab es gewaltige Unterschiede dahingehend, wie wichtig der religiöse Aspekt des Lebens im Stift tatsächlich war oder in wie weit das Stift lediglich eine religiös legitimierte Versorgungs- und Unterbringungsanstalt für Adlige Frauen war, die aus verschiedenen Gründen nicht verheiratet waren.

Es gab Stifte, in denen die Damen in eigenen kleinen Häusern auf dem Stiftsgelände lebten, mit einem eigenen Haushalt aus persönlichen Bediensteten, dort Gäste empfangen konnten, keinen Habit oder ähnliches trugen, sondern die selbe hochmodische und reich verzierte Kleidung wie andere adlige Damen (wenn auch mit besonderer Sorge um ein „züchtiges“ Erscheinungsbild) und außerhalb der Verpflichtung zur Teilnahme an den gemeinsamen Stundengebeten und den gemeinsamen Mahlzeiten im Refektorium (und selbst diese beiden Dinge wurde in manchen Stiften *extrem* locker gehandhabt) keinen besonders reglementierten Tagesablauf hatten.

Und es gab Stifte, in denen die Damen wirklich wie Nonnen in einem Kloster lebten, in einem Schlafsaal oder in einzelnen Zellen (also kleinen persönlichen Räumen mit einem Bett, einer Truhe, einem Tisch und einem Stuhl) untergebracht waren, einen Habit trugen, zusätzlich zu Keuschheit und Gehorsam auch zu persönlicher Armut verpflichtet waren, einem streng reglementierten Tagesablauf nachgingen, in strenger Klausur (also Abgeschiedenheit von Außenstehenden) lebten und in denen es zwar Bedienstete gab… die aber weltliche Arbeiten für das Stift als ganzes verrichteten und keine persönlichen Diener der einzelnen Stiftsdamen waren.

Und natürlich gab es alles zwischen diesen beiden Extremen.

Die Stiftsdamen galten trotz ihres hohen gesellschaftlichen Standes trotzdem wie die meisten Frauen im Mittelalter nicht als voll Rechstfähig, durften also nicht selbstständig Verträge abschließen, sich selbst vor Gericht vertreten und andere Rechtsgeschäfte tätigen.

Dafür benötigte das Stift einen männlichen Vogt, der diese Dinge im Namen der Gemeinde erledigte.

Dieser Vogt war zunächst oft mit dem Stifter identisch, das Amt war aber meist nicht erblich und konnte deshalb oft wechseln.

Viele Stifte bestanden ausdrücklich auf dem Recht, sich ihren Vogt selbst wählen (und auch wieder abwählen) zu dürfen.

Je nachdem, wie mächtig und politisch geschickt die Äbtissin und der Vogt jeweils waren, konnte der Vogt entweder deutlich untergeordneter Befehlsempfänger und Beamter des Stiftes sein… oder andersherum sehr direkte Autorität über das Stift ausüben.

Da Frauen in der katholischen Kirche natürlich keine Priesterweihen empfangen konnten, wurden die Seelsorge und Spende der Sakramente von einem männlichen Geistlichen übernommen, der entweder aus einer nahen Pfarre oder einem nahen Mönchskloster kam.

Die Bevölkerung unterschied nicht immer so eng zwischen Nonnenklöstern und Damenstiften weshalb manche Stifte noch heute als Kloster bezeichnet werden.

2 Gedanken zu “Chordame – Stiftsdame – Kanonisse

  1. Moin! So richtig gut belegt sind Damenstifte ab der Karolingerzeit, wo auf der Synode von Aachen 816 eine verbindliche Regel für solche Gemeinschaften festgelegt wurde.

    Dass man das zu diesem Zeitpunkt auf Reichsebene für etwas hielt, das Organisation erforderte, lässt vermuten, dass diese Form des religiösen Zusammenlebens da schon eine ganze Weile bestand und ziemlich weit verbreitet war.

    In welchem Ausmaß Damenstifte auch außerhalb des deutschen Sprachraums verbreitet waren, weiß ich ehrlichgesagt nicht.
    Der englische Wikipedia-Artikel nennt nur deutsche Beispiele und bezeichnet diese Gemeinschaften auch auf englisch als „stift“, was ich schon wieder irgendwie putzig finde.

    Andererseits werden Gemeinschaften von „canonesses“ im Englischen auch gerne mal als „monastery“ also als Kloster beschrieben, was bei der Unterscheidung natürlich nicht besonders hilft…

    Sorry, dass ich da spontan nicht mehr zu sagen kann, aber meine Recherche hat sich bislang zu diesem Thema tatsächlich auf den deutschen Sprachraum beschränkt.

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  2. Danke. ich war zwar über Damenstifte informiert, habe diese jedoch immer als (luth.) evangelische Gemeinschaft verstanden und wusste nicht, dass es auch eine katholische sein konnte.
    Danke.
    2 Fragen noch: Ab wann sind Damenstifte urkundlich belegt und waren (ich weiß es gibt sie heute noch) diese eine, rein auf das deutsche Sprachgebiet begrenzte Einrichtung?

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